Es dürfte sich um einen Gefühlszustand handeln, der vielen jungen Frauen vertraut ist. Auf der einen Seite ist man voller Liebe für den Herrn Papa, der einen als Kind so unglaublich groß und stark vorkam, und auf der anderen Seite würde man ob seiner Witze am Liebsten im Erdboden versinken. Nun stellen Sie sich vor der werte Vater taucht immer wieder unvermittelt mit schlecht sitzender Perücke und Juxgebiss bei wichtigen Arbeitsmeetings auf. Was tun?

Im Fall von „Toni Erdmann“ der mehrfach preisgekrönten deutschen Regisseurin Maren Ade nimmt es die Hauptperson (Sandra Hüller) mit Humor. Während sie versucht als Unternehmensberaterin in Bukarest ein wichtiges Outsoursing Projekt über die Bühne zu bringen, erhält sie überraschend von ihrem Vater (Peter Simonischek) Besuch. Doch Ines ist zu beschäftigt, um sich ihrem Vater ausgiebig zu widmen. Die Businesswelt ist eine stresseige. Besonders für eine Frau, die sich in einer stark von Männern dominierten Domäne behaupten muss. Um einen wichtigen Abschluss unter Dach und Fach zu bringen muss Ines von Termin zu Termin hetzten. Im Schlepptau Vater Winfried, der sich im saloppen Outfit bei abendlichen Geschäftstreffen widerfindet. Und was er hier zu sehen bekommt, gefällt dem Musiklehrer und Alt-68er offenkundig so gar nicht.

Seine Tochter, die auch zuhause bei Familientreffen ständig am Telefon hängt, scheint über keinerlei Privatleben mehr zu verfügen und nimmt es sogar in Kauf die Frau eines wichtigen Kunden bei Shoppingtouren zu begleiten. Der Aufenthalt gerät zunehmend konfliktreich. Die von Vater Winfried erhoffte Annäherung mit seiner Tochter findet nicht statt und so beschließt er kurzerhand statt abzureisen als Toni Erdmann verkleidet seine Tochter „heimzusuchen“.

Aus der Kühle der Bürotürme

Was folgt ist eine Reihe von ebenso humorvollen wie immanent sozialkritischen Szenen. Tatsächlich gibt es keinen Moment, in dem der Film wertend erscheint oder ins Lächerliche kippt. Gekonnt manövrieren sich Regisseurin und Schauspieler 160 Minuten lang mit viel Feingefühl durch die oftmals harte Szenerie. Etwa wenn der Vater bei einem Besichtigungstermin eines Unternehmens die Toilette aufsuchen muss und im Haus eines einfachen Arbeiter landet, während die Tochter gerade deren Entlassung plant. Es ist eine kalte Welt, die die Zuseher zu sehen bekommen. Discotempel, in denen ausländische Businessmänner vom Kokain berauscht ihre Hemden aufknöpfen, pervers konnotierte sexuelle Kontakte mit Arbeitskollegen und in Stöckelschuhe gequetschte verwundete Zehen. Auf der anderen Seite: das Leben abseits kühl glitzernder Hochhäuser, Hotels und fahler Konferenzräume, das Ines langsam mit Hilfe ihres Vaters zu entdecken beginnt. Zu einer wirklichen Veränderung bezüglich der Gesinnungen der Personen kommt es allerdings nicht. Auch wenn Vater und Tochter aufgrund ihres Spiels doch noch eine Reihe intimer Momente erleben, aus seiner Haut kommt man eben nicht so schnell. Kurz schmiegt sich Ines nach einer spontanen Nacktparty an das Fell des als Kukeri (eine bulgarische Tiergestalt zur Vertreibung böser Geister) verkleideten Vaters. Ein kurzer Moment der Begegnung und doch, sowie der ganze Film, mehr vom Abschied als vom Zueinanderfinden geprägt. Die Kindheit, die kehrt eben nicht wieder.

Toni Erdmann. Ein Film von Maren Ade. Mit Peter Simonischek und Sandra Hüller. Deutschland / Österreich 2016. 162 Minuten

Kinostart: 15. Juli 2016

 

Geschrieben von Sandra Schäfer